Über GIDAS
GIDAS ist eines der weltweit größten Projekte im Bereich der vertieften Verkehrsunfallforschung und beruht auf einer Kooperation zwischen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT). Reale Verkehrsunfälle werden dokumentiert, rekonstruiert und der Unfalleinlauf separat simuliert. Analysen für den Gesetzgeber bieten die Möglichkeit, das Unfallgeschehen genau zu beobachten und positive sowie negative Entwicklungen festzustellen. Automobilhersteller und Zulieferer können anhand der Daten ihre eigene Technik verbessern und den Verkehr für alle Teilnehmer sicherer machen.
Die Entstehungsgeschichte von GIDAS
Aufgrund der in den 1960er und Beginn der 1970er Jahren ständig steigenden Zahlen von Verkehrsunfällen und insbesondere von Verkehrstoten startete Anfang der 70er Jahre die wissenschaftliche Erhebung am Unfallort im öffentlichen Auftrag. Unter der Leitung von Professor Tscherne kooperierte die Medizinische Hochschule Hannover mit der Technischen Universität Berlin (Professor Appel) in der Unfallerhebung vor Ort in Hannover. Während in den ersten Jahren die Unfallaufnahme vornehmlich auf aktuelle Fragestellungen fokussiert war, wurde das Erhebungsverfahren Mitte der 1980er Jahre dahingehend verändert, eine größtmögliche Repräsentativität zu erzielen. Dazu wurde ein statistisches Stichprobenverfahren, sowie eine Methodik zur Gewichtung auf die nationalen Unfallzahlen entwickelt. Des Weiteren wurde der Erhebung ein standardisierter Datenumfang zu Grunde gelegt. Vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Nachfrage nach detaillierten Unfalldaten wurde 1999 das Projekt GIDAS (German In-Depth Accident Study) als Gemeinschaftsvorhaben der Forschungsvereinigung Automobiltechnik (FAT) und der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ins Leben gerufen. |
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Mit den nun zwei Erhebungsgebieten Dresden und Hannover sollte vor allem die Repräsentativität erhöht werden. Beide Erhebungsgebiete wurden räumlich so gewählt, dass möglichst viele, für das Bundesgebiet relevanten Verkehrssituationen vorkommen und sich somit exemplarisch repräsentative Unfallszenarien untersuchen lassen. Die Erhebungsteams sind interdisziplinär geprägt durch Mitarbeitende aus den Bereichen Fahrzeugtechnik und Medizin. Die beiden Teams erheben die Straßenverkehrsunfälle nach der gleichen Methodik und speichern die gesammelten, anonymisierten Informationen in der GIDAS-Datenbank. Seitdem werden jährlich circa 1000 Unfälle erfasst, rekonstruiert und in die Datenbank aufgenommen.
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Die Methodik der GIDAS Erhebung
Besonders für Gesetzgeber und Forscher im Bereich der Verkehrssicherheit sowie Automobilhersteller und Zulieferer sind die Ursachen und Begleitumstände eines Verkehrsunfalls von grundlegendem Interesse. GIDAS erhebt polizeilich gemeldete Verkehrsunfälle mit Personenschaden in einem Umfang von bis zu 3500 Einzelinformationen und systematisch angefertigten Bildern, welche in einer Fallakte anonymisiert zusammen geführt werden. Wichtig ist dabei, dass alle erhobenen Daten rein wissenschaftlichen Zwecken dienen und nicht wie eine polizeiliche Ermittlung zur Feststellung der Schuldfrage herangezogen werden. Aus der amtlichen Verkehrsunfallstatistik lassen sich nur in begrenztem Umfang Informationen zu Unfallentstehung, Unfallablauf, Verletzungsmechanismen und Folgen von Verkehrsunfällen analysieren. Um dem Forschungsbedarf des Gesetzgebers und der Industrie zu genügen, werden weitergehende, d.h. vertiefte Informationen bzw. Datengrundlagen benötigt. Diese Lücke wird geschlossen, indem speziell ausgestattete und ausgebildete Erhebungsteams eine möglichst repräsentative Teilmenge aller polizeilich gemeldeten Verkehrsunfälle mit Personenschaden an zwei Erhebungsstandorten in Deutschland, unabhängig von der polizeilichen Zielsetzung, nach rein wissenschaftlichen Aspekten erheben und anonymisiert dokumentieren.
Die Erhebung unterliegt einem Stichprobenplan, da eine vollumfängliche 24h-Erhebung nicht umsetzbar ist. Die Erhebungszeiten sind in Blöcke à 6 Stunden aufgeteilt, von denen jeweils 2 pro Tag bedient werden (00:00 bis 6:00 Uhr und 12:00 bis 18:00 Uhr bzw. 6:00 bis 12:00 Uhr und 18:00 bis 24:00 Uhr).Die Aufteilung der Blöcke alterniert wochenweise und ist zudem unter den Erhebungsteams komplementär abgestimmt. Wird ein Unfall über die Polizeileitstelle innerhalb eines Erhebungsblocks gemeldet, fahren die Teams bestehend aus technisch und medizinisch geschultem Personal zur Unfallstelle.
Essentiell für eine spätere Rekonstruktion und Analyse ist die umfassende Aufnahme der gesamten Begleitumstände des betrachteten Unfalls. Dazu werden Informationen auf unterschiedlichen Ebenen eingeholt: die Beschreibung des Unfallablaufs und des Unfalltyps, der Unfallart u.a. mit Skizzen bzgl. Fahrtrichtungen, Kollisions- und Endstellungen; eine Charakteristik der Beteiligten- medizinische Daten der verunfallten Personen und ggf. technische Daten ihrer Fahrzeuge. Auch der Ablauf der Rettungskette, die Absicherung der Unfallstelle sowie der Verkehrsfluss zur Unfallzeit werden aufgenommen.
Die Aussagekraft, die Hochrechnungsfähigkeit auf Deutschland und die Repräsentativität von GIDAS fußt darauf, dass es sich bei der Erhebung um eine zweistufige, geschichtete Zufallsstichprobe handelt, bei der die GIDAS-Unfälle aus dem Aufkommen aller Unfälle im Erhebungsgebiet gezogen werden. Die GIDAS-Erhebung wird als Primärerhebungen „in-time“ und „vor Ort“ durchgeführt und durch die Ergänzung der Erhebungsstandorte 2023 wurde die Repräsentativität nochmals deutlich verbessert. In GIDAS werden lediglich diejenigen Verkehrsunfälle aufgenommen, die innerhalb des jeweiligen Erhebungsgebiet und der jeweiligen Schichtzeit passierten und bei denen zwischen der polizeilichen Meldung und dem durch die Einsatzbereitschaft bedingten Anfahrtsbeginn des technischen Teams nicht mehr als 40 Minuten vergangen sind. Ziel ist es sicherzustellen, dass bei den erhobenen Unfällen auch tatsächlich noch Spuren und somit wichtige Erkenntnisse an der Unfallstelle vorgefunden werden können.
Datenschutz
Der Datenschutz ist für eine solche wissenschaftliche Erhebung von außerordentlicher Wichtigkeit. In der GIDAS Datenbank liegen alle Informationen ausschließlich anonymisiert vor. So werden von den am Unfall beteiligten Personen Namen, Adressen, Geburtsdaten etc. nicht gespeichert. Die Identifikation von konkreten Unfällen und deren Beteiligten wird verhindert, in dem genaue Unfallzeiten, Kennzeichen, Fahrgestellnummern und weitere eindeutige Zuordnungsmerkmale nicht gespeichert werden. Auf allen Bildern werden die Gesichter der Beteiligten, Kennzeichen, sowie besondere Merkmale wie Aufdrucke auf Fahrzeugen unkenntlich gemacht.
Es wird regelmäßig intern überprüft, ob die angewandten Methoden zum Schutz dieser Daten den Anforderungen der Datenschutzverordnung genügen.
Die Umwelt
Für eine möglichst präzise Rekonstruktion dokumentiert das Erhebungsteam vor Ort sämtliche Umwelt- und Straßenverhältnisse. Nicht nur die Sichtverhältnisse, sondern auch die Straßendaten, wie Straßengeometrie, -zustand, -temperatur sowie Neigungsverhältnisse, Wasserfilmhöhen und Verkehrsregelungen werden aufgenommen. Die Umweltinformationen sind auch für die Bewertung der Rahmenbedingungen von Unfällen relevant.
Die Beteiligten
Neben Basisinformationen zu Größe, Gewicht und Alter eines Unfallbeteiligten sind auch Daten zum Führerscheinbesitz, etwaigen Einschränkungen wie Vorerkrankungen und Stressfaktoren, aber auch Fahrerfahrung und Ablenkungen wichtig.
Eine gezielte Befragung der Beteiligten kann weitere Aufschlüsse über den Unfall bringen. Die beeinflussenden Faktoren werden situationsgerecht mit den Befragten beleuchtet. Von zentralem Interesse sind auch die Unfallfolgen, d.h. die Verletzungen der beteiligten Personen. Schwere und Art der Verletzung, wie auch die Entstehung dieser werden ebenfalls erhoben und dokumentiert.
Mit der Einverständniserklärung der Beteiligten können Verletzungsdiagnosen und Behandlungsmaßnahmen im Krankenhaus in die Akte aufgenommen werden.
Mit den erhobenen Unfalldaten und einer Skizze der Unfallstelle inkl. Spuren wird später eine Rekonstruktion des Unfallhergangs vorgenommen. Diese betrachtet die Ausgangssituation und Bewegungen der Beteiligten vor, während und nach der Kollision. Dabei werden auch Parameter wie Blickbeziehungen und Krafteinwirkungen berücksichtigt.
Die Zukunft von GIDAS
Seit dem 1. Juli 2023 erhebt neben der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden GmbH (VUFO) nun auch ein Team der Ludwig-Maximilians-Universität und der Hochschule München (LMU/HM) Verkehrsunfälle im Rahmen von GIDAS, beauftragt durch die BASt oder die FAT. Neben den bereits bestehenden Erhebungsgebieten rund um Hannover und Dresden kam somit ein weiteres östlich von München dazu. Insgesamt erheben die drei Standorte zusammen ca. 2.000 Verkehrsunfälle pro Jahr, wobei ca. 1.000 Verkehrsunfälle auf die VUFO und je ca. 500 Verkehrsunfälle auf die MHH bzw. LMU/HM entfallen. Die BASt übernimmt die Beauftragung und Finanzierung der Teams aus Hannover und München, die FAT beauftragt und finanziert das Team aus Dresden.
Die Verkehrssicherheit in Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten ein sehr hohes Niveau erreicht. Einen wesentlichen Beitrag hat dazu die nun mehr als 25 Jahre laufende German In-Depth Accident Study (GIDAS) geleistet. Die aus dieser Erhebung erworbenen Erkenntnisse und Resultate fließen laufend über die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in die Weiterentwicklung von Verkehrssicherheitsmaßnahmen ein. Gleichzeitig dienen sie als Grundlage für neue Fahrzeugsicherheits- und Assistenzsysteme, welche über die Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) der Industrie zugänglich gemacht werden.Durch neue technologische Entwicklungen und Mobilitätskonzepte sowie gesellschaftliche Trends werden allerdings langfristig die Parameter im Bereich der Verkehrssicherheit beeinflusst. Nur einige Beispiele dafür sind die zunehmende Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung. Diese zeigen schon jetzt weitreichende Konsequenzen im täglichen Umgang aller Verkehrsteilnehmer im deutschen Straßenverkehr.
Um die Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit über Forschung und Entwicklung auch weiterhin im Vorfeld abschätzen und frühzeitig Maßnahmen einleiten zu können, bedarf es auch Anpassungen bei der Erhebung und Auswertung der Daten innerhalb GIDAS.
Dazu werden die in GIDAS enthaltenen Module sowohl inhaltlich als auch methodisch überarbeitet. Mit Beginn des Jahres 2023 wurden wesentliche Ergebnisse der Weiterentwicklungsarbeiten umgesetzt und in GIDAS implementiert. Darüber hinaus werden die Kompetenzen in den Bereichen Infrastruktur, Psychologie / Mensch im Verkehr und Medizin verstärkt und das Projekt um neue Bausteine ergänzt, damit aktuelle und zukünftige Fragestellungen beantwortet werden können. Hierfür werden die Ergebnisse gezielt angestoßener Forschungsprojekte genutzt. Darüber hinaus wurden rechtliche, methodische und organisatorische Anpassungen vorgenommen, um dem hohen Anspruch an Qualität und Quantität, Repräsentativität und Innovation gerecht zu werden und den Anforderungen für die Beantwortung zukünftiger Verkehrssicherheitsfragen zu genügen.
Die Fortschreibung und Anpassung der Unfallerhebungen vor Ort im Rahmen von GIDAS 4.0 sind im Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung 2021 bis 2030 verankert. Weitere methodische Anpassungen werden somit in den nächsten Jahren folgen und implementiert. FAT und BASt bekräftigten die Fortführung der von beiden Seiten als erfolgreich betrachteten Kooperation.